«Handwerk hat goldenen Boden» – eine wiederzuentdeckende Weisheit aus alten Zeiten

„Junge, lerne was Handfestes“, gaben einst Väter ihren Söhnen als Rat mit auf den Lebensweg. Heute hat das vielbesungene goldene Handwerk an Glanz verloren. Die Aussicht auf die lebenslang gleiche Ausübung einer Tätigkeit ohne bedeutende Entwicklungsmöglichkeiten lockt nur Wenige, weiss Guido Scartazzini, Ausbildungsleiter der Guyer AG. Und so sagen die Väter heute: „Junge, mach erst mal die Matura, dann ein Studium und dann die Karriereleiter.“ An die Selbstverständlichkeiten des Wohlstandslebens, wie eine geheizte Stube im Februar oder immer fliessendes Wasser im Bad, denken sie dabei wohl nicht. 

So voll ist die Halle selten

Wie viele Handwerksbetriebe kämpft auch die Guyer AG mit dem Lehrlingsnotstand. Aber Not macht erfinderisch und nach so manchem Schatz muss man auch gar nicht besonders tief graben. So organisiert die Firma mit Hilfe von ROBIJ einen Berufserkundungstag (BET), um auch unter den MNAs (unbegleitete Asylsuchende bis 18 Jahre) und BBJEs (unbegleitete Asylsuchende ab 18 Jahre) Lernende zu werben. Dass das Unternehmen gute Erfahrung mit Migranten macht, wird an der Belegschaft schnell deutlich und gibt den jungen Asylsuchenden ein Gefühl der Geborgenheit.

Den 25 Flüchtlingen zwischen 16 und 20 Jahren zeigen Mitarbeiter mit Migrationshintergrund an drei Stationen, was ein Heizungsinstallateur können muss – der seit 3 Jahren in der Schweiz lebende, heute 21-jährige Saddam aus Somalia ist begeistert. An drei weiteren Stationen stellen sie die Arbeit eines Sanitärinstallateurs vor. Im Rotationsprinzip probieren sich alle im Schweissen, der Rohrisolierung sowie der Armaturenmontage und zeigen dabei eine auffallende Fingerfertigkeit. Am Ende des Tages schlägt Saddams Herz für die Sanitärinstallation. Nein, er ist nicht wankelmütig, eher überwältigt vom Angebot wie ein Hungernder in einem Sternelokal.

Partnerwahl

Der Verein ROBIJ ist eigentlich eine Partnervermittlungsorganisation und führt zusammen, was zusammen gehört, denn: Wer eine Beziehung eingehen will, muss sich schliesslich erst einmal kennenlernen. Und natürlich wirken auch hier die Gesetze des Marktes von Angebot und Nachfrage. Aber das Engagement des Vereins geht weit über eine simple wirtschaftliche Nachwuchsrekrutierung hinaus: Hier findet eine aktive und nachhaltige Integration statt.

Der Berufserkundungstag ist nicht nur ein Highlight für die Schüler, sondern auch eine Chance für die Guyer AG, die nach geeigneten Lehrlingen Ausschau hält. Die Instrukteure beobachten genau und sind beeindruckt von der handwerklichen Geschicklichkeit vieler Jugendlicher. Für Georgi – seit 10 Monaten in der Schweiz – ist alles noch sehr neu. Der junge Soziologiestudent aus Kiew würde – wohl aus aktuellem Anlass – gern Diplomat werden, kann sich aber auch den Beruf eines Heizungsinstallateurs gut vorstellen, weil ihm das Schweissen besonders Spass macht.

Um zusätzlich an Attraktivität zu gewinnen, bietet die Guyer AG Lehrstellen im Next-Job-Modell an. Unter dem Dach der Burkhalter-Gruppe bieten hier verschiedene Firmen nicht nur Lehrstellen rund um die Gebäudetechnik an, sondern ermöglichen ihren Absolventen auch einen schweizweiten Stellenwechsel. So offerieren sie Mitarbeitenden interessante Entwicklungschancen, ohne sie – und ihre Investition in den Nachwuchs – zu verlieren. Aber auch die Digitalisierung im Bereich der Gebäudetechnik verändert Berufe wie Heizungs- und Sanitärinstallateur, die auf diese Weise wieder an Glanz gewinnen.

Nachmachen erwünscht

Die Hürden, eine Lehrstelle zu bekommen, sind trotz enormen Bedarfs gross. Der 18-jährige Habibullah aus Afghanistan würde gern bei der Guyer AG eine EFZ-Lehre als Sanitärinstallateur machen, befürchtet aber, dass seine Schulnoten den hohen Anforderungen nicht genügen. Vielleicht kann er über eine EBA- Lehre im Betrieb den Einstieg finden. Wesentliche Qualitäten bringen er und viele junge Flüchtlinge aber bereits mit: Willenskraft und Zielstrebigkeit, Hilfsbereitschaft, Mut und Offenheit für Neues. Sie sind dankbar für die Unterstützung der vielen Helfer in den Schulen und Wohngruppen, die sie auf das Leben in einer ihnen noch sehr unbekannten Kultur vorbereiten.

Die Unterstützung von ROBIJ schätzen nicht nur die Jugendlichen, die, wie der Afghane Ali Mohammed, fast ungeduldig nach mehr dieser interessanten Berufserkundungstage rufen, sondern auch die Lehrpersonen, wie Susanne Stössenreuther von der Viventa bestätigt.

Text von unserer Gastautorin N.D.

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